Herbst-Neuerscheinung bei BABYLON Metropolis Studies

 

„Auslegerboote am Strand der Insel Ponam“. Admiralitätsinseln, heute Provinz Manus, Papua-Neuguinea. Foto Alfred Bühler, 1932.

Ronald & Ursula Daus

Von der Kunst, in stürmischer See nicht zu kentern. Die Manus der Admiralitätsinseln im 21. Jahrhundert

Im Januar 2019 erhielt der kurdisch-iranische Journalist und Schriftsteller Behrouz Boochani gleich zwei wichtige australische Literaturpreise, darunter den „Victorian Prize for Literature“ für sein poetisches Sachbuch „No Friend But The Mountains. Writing From Manus Prison“. Darin beschreibt er sezierend und ergreifend den Alltag in den geschlossenen Flüchtlingslagern von Manus, die die australische Regierung auf der abgelegenen Südpazifikinsel für Asylsuchende eingerichtet hatte, die vor der australischen Küste aufgegriffen wurden. Obwohl die Lager 2017 schließen mußten, harrt ein Großteil der Flüchtlinge weiterhin auf Manus aus, darunter auch Behrouz Boochani.

Die Welt nimmt Anteil am unmenschlichen Schicksal der Flüchtlinge. Geradezu Stillschweigen breitet sich jedoch aus, wenn es um die Interessen der Manus-Bewohner selbst geht, deren Heimat in der Weltpresse als „Pazifischer Gulag“, „Drecksloch“ oder „Hölle im Pazifik“ bezeichnet wird. Den Manus von den Admiralitätsinseln wurde seit den ersten Kontakten mit europäischen Seefahrern ein besonderes Image aus Neugierde, Aufgeschlossenheit und Intelligenz bescheinigt. Da sie selbst keine schriftlichen Zeugnisse über diese für sie so einschneidende Epoche hinterließen, nehmen wir die aus vier Jahrhunderten überlieferten Texte, Bilder und ethnographischen Artefakte und konfrontieren sie einerseits mit aktuellen Aussagen von Manus-Bewohnern wie der Anthropologin Michelle Nayahamui Rooney, andererseits mit „Testimonios“ von Nicht-Manus aus Literatur, Wissenschaft und Medien.

Aus dem Inhalt:

I. Die Inseln: Vulkane, Atolle, Meer
II. Die Bewohner: „Papu“ – Manus, Matankol, Usiai
III. Der Konakt: „Entdecker“, Abenteurer, Künstler
IV. Die Anpassung: Geschäfte, Verwaltung, „Zivilisation“
V. Das alte Weltbild: Vom „Suppenteller“ zum Globus
VI. Das neue Weltbild: Von der Weltläufigkeit zur „einsamen Lagune“

182 S., 56 Abb., Bibliographie, Karten, Ortsregister    

ISBN 978-3-925529-36-8   37 €

 

Leseprobe:

… Eine umso größere Rolle spielt der Chauka im Leben der Manus-Bewohner. Er findet sich auf der Flagge der Manus-Provinz, leiht der lokalen Radiostation seinen Namen mit dem Slogan „Maus Blong Chauka“, Die Stimme von Chauka, und zierte von altersher Werkzeuge, Waffen und Haushaltgegenstände.

Seine Weltbedeutung erhielt der emblematische Vogel jedoch nicht durch einen ornitologischen „Hype“, sondern als Namensgeber eines Dokumentarfilms über das Flüchtlingsgefängnis auf Ma- nus. In „Chauka, Please Tell Us The Time“, Chauka, bitte sage uns die Zeit, 2017, erzählt der kurdisch-iranische „Flüchtlingsgefangene“ Boochani vom unerträglichen Warten hinter dem Zaun des Lagers, hinter den Metallwänden der Schlafcontainer, in den schmalen Gängen zwischen den Containern und in der erdrückenden Hoffnungslosigkeit. Der Film wurde heimlich mit einem Smartphone gedreht und von dem iranischen Exilregisseur Sarvestani in Amsterdam, 15 000 Kilometer von seinem Entstehungsort, aufbereitet. Er wurde seither mit großer Unterstützung und nicht endenwollenden Beifallsbekundungen der Weltpresse und der Zuschauer bei Festivals in London, Melbourne, Berlin, Sydney und den USA gezeigt: „Chauka, Please tell us the time: Chauka singt. Die Melodie wandert weiter/Chauka schreit/Singt/Schreit//Schreien und Singen verbinden sich in der Stimme des Vogels/Ein Moment Stille/Chauka schreit noch einmal/Eine Harmonie entsteht durch Schreien/ Ein Lärm, der in die tiefsten Tiefen des Dschungels reicht/In die tiefsten Höhlen/Schreie steigen aus den Kehlen aller Vögel der Manus-Insel auf/Alle Vögel von Manus erzeugen eine Symphonie/Alle erreichen ihren Höhepunkt in der Stimme des Chauka.“

Die Manus-Bewohner hingegen sehen unglücklich-hilflos diesem unerfreulichen Weltruhm ihres Wappentiers zu. Und was sie noch mehr erzürnt, ist, daß die Einzelzelle im Flüchtlingslager den Namen „Chauka“ trägt. Vor der Welt dient ihre Insel sozusagen als Mülldeponie für die Probleme eines anderen Landes und beschmutzt das Ansehen von Manus. Von einem Symbol der Selbstbestimmung wurde Chauka zu einem Sinnbild von „Regierungsmacht, Geheimniskrämerei und Unfreiheit“, schreibt die aus Manus stammende Anthropologin Michelle Nayahamui Rooney in ihrem Essay „The Chauka bird and morality on our Manus Island home“, Der Chauka und die Moral auf unserer Heimatinsel Manus, im Februar 2018. Den Dokumentarfilm „Chauka, Please Tell Us The Time“ des kurdisch-iranischen „Flüchtlingsgefangenen“ Boochani empfindet sie als den erneuten Ruf des Chauka nach Freiheit.

Mit ihrem Gedicht „Chauka, yu we?“ „Chauka, wo bist Du?“ reagierte sie auf poetische Weise auf den Verlust der Harmonie in der Manus-Gesellschaft durch die Präsenz des australischen Flüchtlingslagers auf ihrer Insel. „Maus bilong Chauka“:

„Belo pairap, skul i pinis. Mi harim solwara i bruk long nambis. Mi smelim solwara long win. Mi lap wantem ol wanskul na kalap. Solwara pulap long maus blo mi. Chauka i singaut.
Mi lap na hamamas. Olsem liklik pis. Ol brata na sista pilai long nambis.
Mi kalap lon bas i go long Lombrum. Solwara olsem glas long loniu pasis i silip sore; isi isi stret solwara karim bas lon Loniu Bris. Solwara karim mipla go long Lolak Bris. Chauka i singaut. Long apinun bas i ron go bek lon taun. Win i pas long pes blo mi. Mi smelim solwara. San i go daun.

Sun kamap taim blo skul. Harim news na toksave lang Redeo Manus, ‚maus bilong chauka i hamamas tasol long autim ol news na toksave. Em i maus bilong Chauka‘. Chauka i singaut. Ol nasi na papu stap. Mipela vokabaut i go long skul. Solwara i buruk long nambis. Chauka i singaut. Kirap silip kaikai, na wokabout wantem Chauka. Hamamas, kros, na wok. Wok kastam, wok mani, wok gavman, wok lotu. Chauka i singaut.“

„Die Stimme von Chauka“:
„Die Glocke läutet, die Schule ist aus. Ich höre die Wellen am Strand. Ich rieche das Meer im Wind. Ich lache mit meinen Schulfreundinnen und hüpfe. Seewasser füllt meinen Mund. Der Chauka ruft. Ich lache vor Freude. Wie kleine Fische. Meine Brüder und Schwestern spielen im Meer.
Ich nehme den Bus nach Lombrum. Die glitzernde See bei der Loniu-Passage ist melan- cholisch; langsam fährt der Bus über die Loniu-Brücke. Er bringt uns über die Lolak- Passage. Der Chauka ruft. Am Nachmittag kehrt der Bus in die Stadt zurück. Der Wind bläst mir ins Gesicht. Ich rieche das Meer. Die Sonne geht unter.
Die Sonne geht auf, Zeit in die Schule zu gehen. Ich höre die Nachrichten und Ankündi- gungen auf Radio Manus, ‚die Stimme von Chauka ist sehr glücklich, euch die Nachrich- ten und Ankündigungen zu bringen. Das ist die Stimme von Chauka‘. Der Chauka ruft. Unsere Großmütter und Großväter bleiben zurück. Wir gehen zur Schule. Die Meereswellen brechen sich am Strand. Der Chauka ruft.
Aufwachen, schlafen, essen und ins Bett gehen mit Chauka. Überall Glück und Arbeit. Kastom, der alte Brauch, Arbeit für Geld, Arbeit für die Regierung, Arbeit für die Kirche. Der Chauka ruft.“
Vor allem die allmähliche Abkehr von Kastom, dem uralten Brauch der sozialen Verpflich- tung zum Geschenktausch unterminiert den Zusammenhalt auf Manus… (S. 105-108)