KOSMOPOLIS 23/2012 „Impotente Götter“

EDITORIAL

Der Göttervater Zeus als Stier wird von Europas Gespielinnen mit Euros gefüttert. Zeichnung von Dmitrij Chmelnizki, 2012
Der Göttervater Zeus als Stier wird von Europas Gespielinnen mit Euros gefüttert. Zeichnung von Dmitrij Chmelnizki, 2012

„Mit Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“, dichtete Friedrich Schiller in seinem Drama „Die Jungfrau von Orleans“. So spontan dieser Ausruf des englischen Feldherrn Talbot angesichts seiner Niederlage gegen die Truppen der Franzosen unter Anführung dieser Kriegerin war, so spontan kann man derzeit die vollkommene Ohnmacht all unserer einstigen Götter und unserer aktuellen gottähnlichen Ikonen angesichts des irdischen Chaos konstatieren.

Die Ablösung von überirdischem Glanz und Herrlichkeit durch die absolute Paradiessuche im Hier und Jetzt zeitigte den vollständigen Verlust göttlicher Allmacht. Erfolgreich begann die Entmachtung des Pantheons bereits zur Zeit der Antike. Ein alleinseeligmachender Gott setzte sich an seine Stelle, bis auch er im Zeitalter der Aufklärung den allzu menschlichen Ideologien unter dem Banner der Vernunft geopfert wurde.

Mit dem Ende der Ideologienvielfalt und dem Sieg eines eindimensionalen globalen Kapitalismus hat nun wieder – ganz wie einst im Alten Testament – das Geld als Goldenes Kalb den höchsten Altar erklommen. „Wer sich wehrt, lebt verkehrt“, heißt der abgewandelte Revoluzzerspruch der Alt-68iger heute.

Mit dem virtuellen Rüstzeug des weltweiten Netzes scheint dem Einzelnen eine Waffe gegen Ungerechtigkeit und Willkür an die Hand gegeben zu sein – wie der „Arabische Frühling“ 2011 zu belegen glaubte. Kann wieder einmal ein unsichtbarer Ersatzgott die Ohnmacht seiner Vorläufer in ein potentes Machtzentrum verwandeln? Unsere Autorinnen und Autoren gehen in ihren Beiträgen dem Verlust der Allmacht der Götter über die Jahrtausende nach –  von Afghanistan bis in die Ukraine, von Brasilien bis zum krisengeschüttelten Griechenland des 21. Jahrhunderts, das ausgerechnet von diesen einst mächtigen Göttern gänzlich der Willkür virtueller Kräfte überlassen wird.

red

INHALT

Impotente Götter oder Die Allmacht im Netz

Das Ende der Schamanenmacht im Amazonas?

Töte nicht deine Familie! Volkserziehung in Afghanistan

Kretische Impressionen oder die Rettung Europas?

Im Schatten der Götter. Ukrainische Notizen zur EURO 2012

Selbstverliebtes Paris

in Berlin und anderswo:
Asien in Berlin * „Über Lebenskunst“ in Berlin, Neu-Delhi,
St. Petersburg, Nairobi und São Paulo * Neureich in Aambly
Valley City, Indien * „Entschleunigung“ in Wolfsburg *
Matisse in Paris

Neue Bücher – auch zum Fußball der EURO 2012 in der Ukraine:

Neuerscheinungen 2011/2012 unserer Verlagspartner: Taschen, Köln, Hatje, Ostfildern, Kehrer, Heidelberg, Dörlemann, Berlin, DOM, Freiburg, Nelles, München, mare, Hamburg, Unionsverlag, Zürich, Suhrkamp, Berlin, Kiepenheuer & Witsch, Köln, Piper, München, Nautilus, Hamburg

Neue Stadtbilder – Neue Gefühle [Band 1]

Lissabon 2011 Archiv R & U Daus, 2011

Europäische Stadtanlagen als Weltmodell

Ronald Daus

Die dreibändige Serie „Neue Stadtbilder – Neue Gefühle“ zeigt, daß sich ein neues System des Verständnisses großer Städte rund um den Erdball in Gang gesetzt hat.Der erste Band befasst sich mit den „steinernen“ Ursprüngen der Megametropolen in Amerika, Asien, Afrika und Ozeanien im Zuge des europäischen Kolonialismus. Am Beispiel der derzeit teuersten Metropole der Welt, der angolanischen Hauptstadt Luanda, wird die historische Synthese in die Zukunft transportiert. Ausdruck dafür sind in der II. Dekade des 21. Jahrhunderts neben einer spekulativ überbordenden architektonischen Stadtlandschafte eine bommende Literatur-, Kunst- und Musikszene, als deren kosmopolitischster Vertreter der angolanische Schriftsteller José Eduardo Agualusa gilt.Aus dem Inhalt

  • Überraschende Geistesblitze
  • In Stein gehauene Vergangenheit
  • Die weltweite Expansion kolonialer Stadtanlagen: Portugal, Spanien, Niederlande, Großbritannien, Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien
  • Luanda: Jahrhunderte der Akkulturation
  • Die Ausgangslage
  • Vom Provisorium zur Festungsstadt
  • Dichterische Freiheit statt kolonialer Norm
  • Der Wille zur Selbstbestimmung
  • In der Hölle der Gegenwart
  • Nach dem Alptraum
  • Absurde Zukunftszenarien
  • Epilog

„Die Welt verändert sich aktuell in rasantem Tempo. Und nur wenige nehmen wahr, daß diese Transformation „das Ende des Atlantischen Zeitalters“ bedeutet und nicht „das Ende der Ideologien“, wie es Fukuyama fälschlicherweise nach dem Fall der Berliner Mauer prognostizierte. Einer, der diese Umwälzungen mit besonderem Interesse beobachtet ist Ronald Daus, Professor für Romanistik und Kulturwissenschaften an der Freien Universität Berlin, ein weltreisender Gelehrter, der sein ganzes Berufsleben der literarischen und kulturellen Erforschung romanischer Kulturen in Europa und außerhalb Europas widmet. Sein weitgefächertes Publikationswerk verbindet in interkontinentalen Vergleichen die Kolonialgeschichte Europas mit der Moderne, die Entwicklung der Weltstädte Europas und Außereuropas anhand von literarisch-künstlerischen Reflexionen.

Seine vorliegende Studie in drei Bänden heißt dementsprechend: „Neue Stadtbilder – Neue Gefühle.“ Der hier gewürdigte erste Band „Europäische Stadtanlagen als Weltmodell“ unterteilt sich in zwei Hauptkapitel.

Der 1. Teil, „In Stein gehauene Vergangenheit“, stellt die Expansion der europäischen Kolonialmächte Portugal, Spanien, Niederlande, Groß-Britannien, Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien in den Mittelpunkt. Anhand der von ihnen gegründeten „Stadtanlagen“, entsprechend der jeweiligen Besonderheiten ihres Heimatlandes, wird die Eroberung und Besetzung des fremden Territoriums gezeigt. Ein grosser Verdienst der vorliegenden Untersuchung ist die Darlegung der konkreten Formen, d.h. der jeweiligen Stadtgestalt, in welcher die intellektuellen und kulturellen europäischen Projektionen sich äußerten. Die Entkolonisierung Mitte des 20. Jahrhunderts und das Ende des kalten Krieges mit dem Fall der Berliner Mauer leiten eine neue Phase für die einst kolonialen Stadtgründungen in Afrika, Lateinamerika und Asien ein.

Im 2. Teil, „Luanda: Jahrhunderte der Akkulturation“, wird die explosive und chaotische Entwicklung der boomenden Hauptstadt des ölexportierenden afrikanischen Staates Angola vorgeführt.

Ihre Geschichte beginnt 1575. Gemäß dem Vorbild der Hauptstadt Lissabonn entstanden Gebäude und Straßenzüge. Daus zeigt dabei die enge Verbindung, die der afrikanische Handelsplatz schon früh mit dem brasilianischen Pendant Bahia einging. Denn Luanda war der Ausgangspunkt für den Handel mit afrikanischen Sklaven. Die mehr als 400 Jahre lange Geschichte Luandas werden anhand literarischer und künstlerische Werke präsentiert. Sie dienen als Beleg für die unumkehrbare Akkulturation seiner afrikanischen Bewohner. Mithilfe der portugiesischen Sprache wurde eine „Identität“ geschaffen, die die einheimischen Dichter und Intellektuellen auch im 21. Jahrhundert bestimmt. Die Werke des postmodernen angolanischen Autors José Eduardo Agualusa nutzt Daus als Sprachrohr für den geistigen und physischen Zustand des aktuellen und zukünftigen Luandas, wo permante chaotische und absurde Gegenwart herrscht.“

Dr. Luis Pulido Ritter, Panama-City/Berlin, im März 2012


Neugierig geworden? Weitere Details und Bestellmöglichkeiten finden Sie auf der Homepage des Verlages: Neue Stadtbilder  – Neue Gefühle [Band 1]