Geniestreiche mit Pedro Almodóvar

"Das Pedro Almodóvar Archiv", Foto R & U Daus, 2012

Der nun weltberühmte spanische Filmemacher Pedro Almodóvar wuchs in den 1950er Jahren in Calzada de Calatrava in der Mancha auf, in der selben Gegend, wo einst „Don Quijote, der Ritter mit der Traurigen Gestalt“ sein spöttisches Unwesen getrieben hatte.

Mit 17 Jahren zog es ihn, für immer, nach Madrid. Mit wechselnden Jobs hielt er sich finanziell über Wasser. Er liebte fanatisch die „Movida“, also die Bewegung der jungen Leute, die sich den Teufel scherten, was politisch korrekt, anständig oder langweilig war. Er posierte auch schon gern als Transe, drehte schrille kurze Action-Filme, schauspielerte und sang.

Sein erster Spiel- und Jux-Film war „Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón“, Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande, 1980. „Pepi ist eine moderne, clevere und unmoralische Frau aus Madrid. Luci ist mit einem Polizisten verheiratet. Sie soll die typische Hausfrau um die vierzig darstellen, selbstlos und unterwürfig. Bom singt in einer Popgruppe, ist brutal, pervers und sehr jung. Ein unvorhersehbares Ereignis verändert das Schicksal dieser drei Frauen sowie des Polizisten. Er vergewaltigt Pepi – und übersieht dafür den Marihuana-Anbau auf ihrem Balkon.“ (S. 10ff.) Das alles ist schrill, sehr komisch, gekonnt lässig: ein bunter Bürgerschreck fürs Großstadtgetriebe im neu aufblühenden Madrid. (S. 21) Dieser Film wird sofort international berühmt. So hatte man sich das Leben im immer noch faschistisch regierten Spanien nicht vorgestellt. „Alles wird plötzlich anders!“ Die lokale Politik begann an jeder Ecke lächerlich zu wirken und vor allem, impotent. Das offiziell immer noch von Faschisten regierte Madrid war unverhofft zu einem schlappen Schießbuden-Décor degeneriert. Die herrschenden Greise konnten mit einer solchen unverschämten Attitüde nicht umgehen. Die 1900er wurden plötzlich ein einziges Fest mitten in der spanischen Kapitale. Alles ließ sich „veräppeln“. Die Politiker begriffen offensichtlich nichts mehr.

Mit „Mujeres al borde de un ataque de nervios“, Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, 1988, ist der internationale Durchbruch gefestigt. Um 1990 hatte dieses superpotente Kino in der spanischen Hauptstadt mit dem total aktuellen Genie Almodóvar seinen schrillen Höhepunkt erreicht. Die Truppe war nun eingespielt. Sie konnte sich gegenüber ihrem Publikum alles erlauben. Und so ging man tatsächlich mit dem Film „Átame“, Fessle mich, 1990, zum Äußersten. Ein Kidnapper beschließt, endlich einmal an Geld zu kommen. Antonio Banderas, der aufstrebende Superstar im neuen spanischen Kino, bricht in seiner Rolle in irgendeine bürgerliche Wohnung ein, um von einer zufälligen Person, einer jungen Frau, Lösegeld zu erpressen. Er ist Waise und hat sein ganzes Leben in Erziehungsanstalten verbracht. Der Auftritt der ebenso prominenten Schauspielerin Victoria Abril als Porno- und Horrordarstellerin jagt beide Temperamentskanonen aufeinander. Die Stars übertreffen sich im Bett in extremem Realismus, schreiend, blutend, sich tatsächlich liebend.

Ab jetzt waren diese Schauspieler und der Regisseur unantastbar in allen weiteren Projekten – auf Jahrzehnte hinaus.

Sie wurden Weltstars, auch in den USA. Diese spanische Filmkunst hatte sich, fast Jahr für Jahr, verzweigt, erneuert, überrascht und als unermüdlich erwiesen.

Das „Pedro-Almodóvar-Archiv“ kann immer weiter arbeiten. Die quasi-Vergöttlichung der Komödianten aus Madrid und ihres Obergurus dürfte einzigartig sein, sodaß der 2011 in einer ersten Auflage von 12 000 nummerierten Exemplaren bestimmt weitere folgen werden. Und wie eine Reliquie stellte der Filmregisseur jeweils jedem Buchexemplar einen veritablen 35-mm-Filmstreifen  von „Volver“, Zurückkehren, 2006, zur Verfügung.

Clarita Avila

Das Pedro-Almodóvar-Archiv, hg. von Paul Duncan und Bárbara Peiró,  410 S.,  600 Abb., darunter viele bislang unveröffentlichte Bilder des neuen Films „Die Haut, in der ich wohne“ (2011). 150 €. Taschen, Köln 2011